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Prof. Steffen LemkeEvolution der Morphogenese

Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den ersten Stunden des tierischen Lebens. Wir möchten wissen, wie aus einem einfachen Gewebe durch seine Faltung und Umbildung – ähnlich wie beim Origami aus einem Blatt Papier – ein komplexer Organismus entsteht. Unsere Forschung dreht sich um ein Beispiel aus dem Lehrbuch der Entwicklungsbiolgie und fragt, wie sich das biologische Origami durch das Auftreten neuer Gene, mechanischer Zwänge und Umwelteinflüsse im Laufe der Zeit verändert hat.

Krabbler und Käfer, Vögel und Fliegen, Fische, Frösche, und wir Menschen: alle diese Wesen sind entstanden aus einem einzigen, einfachen Gewebe von miteinander verbundenen Zellen.

Steffen Lemke forscht an der Universität Hohenheim

In den ersten Stunden und Tagen unseres Lebens hat sich dieses Gewebe in mehrere Lagen gefaltet, und aus diesen Lagen haben sich dann unsere Haut und Nerven, Muskeln und Knochen, Magen und Lunge entwickelt. Es ist dieses erste, auch als Gastrulation bezeichnete Einfalten eines Gewebes, das unsere unterschiedlichen Körperbaupläne anlegt; ohne es würde es das tierische Leben in seiner heutigen Vielfalt wahrscheinlich nicht geben. In seiner Grundform ist dieses Programm in der Entwicklung aller Tiere zu finden. In Abwandlungen entscheidet das Einfalten von Geweben über unser Aussehen und bestimmt die Ausbildung unserer Organe, im lebenden Organismus oder in der Petri-Schale. Wie sich dieses Programm verändert und immer wieder neu organisiert hat, ist eine grundsätzliche und unbeantwortete Frage der Biologie. Wir arbeiten leidenschaftlich daran, dieses Problem zu lösen, indem wir die Gastrulation in einer Reihe von unterschiedlichen Tierarten untersuchen. Wir erkennen und beschreiben Neuerungen in der Gewebefaltung, d.h. wie Zellen miteinander interagieren und ihre Form ändern, und wir finden heraus, wie diese Änderungen durch die Ausrichtung des Cytoskeletts reguliert werden. Die Arbeiten in unserer Gruppe gründen auf Fachwissen in den Bereichen tierischer Evolution, Entwicklungs- und Zellbiologie und werden bereichert durch ergänzende Blickwinkel von Ingenieuren und Physikern.

Eine der bemerkenswerten Eigenschaften von Tieren besteht darin, dass ihre Cytoskelette alle aus den gleichen Hauptbestandteilen zusammengesetzt sind. F-Actin, Myosin und Microtubuli existieren bereits in Schwämmen, Pilzen, Quallen und Korallen, sie bestimmen Form und mechanische Eigenschaften von Zellen seit dem Anbeginn der Tiere, und sie funktionieren selbst wenn sie zwischen unterschiedlichen Arten hin- und hergetauscht werden. Ähnlich konserviert sind viele der Gene, die das molekulare Koordinatensystem festlegen und dem wachsenden Tier Informationen über Raum und Zeit liefern. Was bleibt als genetische Stellschraube, um Neuerungen im Falten von Geweben einzuführen, ist die Weitergabe von räumlich begrenzten Anweisungen an die Motoren, die das Cytoskelett aufbauen und verändern. Bekannte molekulare Mechanismen für diese Art der Informationsweiterleitung sind, zum Beispiel, Signaltransduktionskaskaden und intrazellulärer Transport.

Neben genetisch kodierten Signalmolekülen und Verteilerknoten im intrazellulären Transport beeinflussen abiotische Faktoren (wie etwa Temperatur und mechanische Zwänge) die Weitergabe und Interpretation von räumlicher Information. Im frühen Embryo schwankt der Effekt solcher Faktoren mit dem Lebensstil der Eltern, dem Habitat, und den Klimaverhältnissen. Um das Ausbilden und Falten von Geweben vor diesen Einflüssen zu schützen, reichen biologische Strategien von Chaperonen und mehrfacher Informationsabsicherung bis hin zum optimalen Timing von Faltungsprozessen. 

Wir bearbeiten folgende Hauptfragen
 

  • Was kennzeichnet eine Neuerung in der Gewebefaltung?
  • Wie entsteht eine solche Neuerung durch geänderte Interaktionen von Zellen und Geweben?
  • Wie ist neue Gewebefaltung verknüpft mit einer Verbesserung der Nachrichtenübermittlung?
  • Wie hängen Umwelt und Klima zusammen mit Neuerung in der Gewebefaltung?
     

Wir benutzen einen Zoo an unterschiedlichen Fliegenarten um diese Fragen zu untersuchen. Fliegen können einfach im Labor gehalten und gezüchtet werden, und ihre Eier durchlaufen alle vergleichbare Entwicklungsschritte. Diese Schritte können sehr einfach mit der Fruchtfliege Drosophila verglichen werden, ein sehr bekanntes und weit verbreitetes Modelsystem, um die molekularen und physikalischen Grundlagen der Gewebefaltung zu erforschen. Unsere Gruppe arbeitet interdisziplinär und verwendet unterschiedlichste experimentelle Methoden, angefangen von Stammbaum- und Genomanalysen, bis hin zu Zellbiology, Genetik, quantitativer Lebendmikroskopie und Modellierungen.

 

Ausgewählte Veröffentlichungen

  1. Caroti, F, González Avalos, E, Noeske, V, González Avalos, P, Kromm, D, Wosch, M, Schütz, L, Hufnagel, L and Lemke, S (2018) Decoupling from yolk sac is required for extraembryonic tissue spreading in the scuttle fly Megaselia abdita. eLife 7, e34616.
  2. Urbansky, S, González Avalos, P, Wosch, M and Lemke, S (2016) Folded gastrulation and T48 drive the evolution of coordinated mesoderm internalization in flies. eLife 5, e18318.
  3. Kappe, CP, Schütz, L, Gunther, S, Hufnagel, L, Lemke, S, Leitte, H (2015) Reconstruction and Visualization of Coordinated 3D Cell Migration Based on Optical Flow.  IEEE VIS 2015.
  4. Caroti, F, Urbansky, S, Wosch, M, and Lemke, S (2015) Germ line transformation and in vivo labeling of nuclei in Diptera: report on Megaselia abdita (Phoridae) and Chironomus riparius (Chironomidae). Dev Genes Evol 225:179.
  5. Heermann, S, Schütz, LC,  Lemke, S, Krieglstein, K, Wittbrodt, J. (2015) Eye morphogenesis driven by epithelial flow into the optic cup facilitated by modulation of bone morphogenetic protein. eLife 4, e05216.